Alle Welt redet von Digitalisierung, auch in der Automobilbranche. Es gibt Seminare für Digitalstrategien, es gibt Digitalstrategieberater (es grüßt der Autor), es gibt Bücher über das Wesen des Digitalen und nicht zu vergessen: Auch Podcaster spezialisieren sich auf dieses Thema.
Gräbt man etwas tiefer, treten dabei ganz schnell Unterschiede zutage. Während die einen stark auf Ziele und Strategien abstellen, verweisen andere auf Technologien und deren Nutzung. Und in der Tat: Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass allein die regelmäßige Nutzung von Apps auf dem Smartphone schon den Digitalisten ausmacht.
Schön, wenn es so einfach wäre. Dabei ist und bleibt die größte Herausforderung der Digitalisierung auf absehbare Zeit total analog: Der Mensch!
Digitalisierung im Autohaus
Im Grunde ist Digitalisierung ganz einfach: Passe Deine Denkweise, Dein Geschäftsmodell und Deine Geschäftsprozesse immer wieder an die Wünsche Deiner Kunden an und lass Dich dabei von den Segnungen moderner IT unterstützen. Das wäre die Ultrakurzversion – alles easy also. 😉 Doch dann schlägt das echte Leben dazwischen. Wir Menschen werden nicht grundlos als Gewohnsheitstiere betitelt.
Der Serviceberater
Da ist z. B. Joachim, 47 Jahre alt, Kfz-Meister und seit 14 Jahren Serviceberater bei einer deutschen Volumenmarke. Hat sein Leben lang geschraubt und Autos angenommen. Hat alle nötigen Lehrgänge absolviert, damit der Hersteller ihn im Rahmen der Standards und Bonifizierungsmodelle offiziell anerkennt.
Hat wirklich viel Ahnung von Autos, schreibt im Zweifingermodus seine Aufträge (mach ich übrigens auch) ;-), spricht die Sprache des Technikers. Kann mir super erklären, warum meine Annahme, dass etwas kaputt sein könnte, unbegründet ist. Und warum verstehe ich das so gut? Weil ich auch Kfz-Mester bin :-). Ist übringens derselbe Grund, warum meine Frau ihn nicht verstehen würde.
Serviceterminvereinbarungen per Webseite mag Joachim nicht wirklich, zumal er auch gar nicht versteht, warum das nötig sein sollte. Die Leute können doch auch anrufen, also zumindest un ter der Woche zu den üblichen Geschäftszeiten. Ging doch bis jetzt immer.
Der Autoverkäufer
Manfred ist von einem anderen Schlag. Ende Fünfzig, Senior Verkaufsberater (Verkaufsberater > ein Oxymoron per excellence) im Autohaus einer kleinen Importeursmarke. Manfred hat schon viele kommen und gehen sehen, kann die Leute in Grund und Boden reden. Kennt alle laufenden Aktionen seiner Marke, bleibt keiner Frage seiner Kunden eine Antwort schuldig. Emails, CRM, Smartphones und all dieses Zeugs bremsen ihn nur in seinem Vorwärtsdrang. Ging doch bisher auch so.
Bargeld ist die Währung seiner Wahl, schließlich gab es früher auch nichts anderes. Klar, wenn ein Kunde danach fragt, bekommt er auch eine Finanzierung. Aber er muss danach fragen, denn für Manfred bedeutet das vor allem viel Arbeit. Kundenanfragen aus dem Internet sind aut Manfred Zeitverschwendung, denn wer wirklich ein Auto möchte, der kommt persönlich bei ihm vorbei. Alle anderen sind nur Zeitdiebe.
Die Buchhalterin
Zahlen sind Susannes Welt. Als gelernte Bürokauffrau arbeitet sie seit ihrer Ausbildung als Buchhalterin im Autohaus. Sie kennt die Tätigkeit noch aus der Zeit, als man nichts mit Software verbuchte, sondern tatsächlich Zahlen in Büchern hinterlegte. Aber gut, heute nutzt man halt Buchhaltungssoftware, man muss eben mit der Zeit gehen. Aber diese Archivierungssoftware, die da neulich so ein Jungspund von Berater angepriesen hat, konnte sie ihrem Chef zum Glück ausreden. Papier ist schließlich geduldig, und in den Aktenschränken hinter Susanne liegt eben die Wahrheit.
Der Inhaber
Fred hat vor 30 Jahren das Autohaus mit zwei Marken von seinem Vater übernommen. Damals war Deutschland noch in zwei Länder geteilt, aus Sicht von Fred war die Welt damals in Ordnung. Doch nur wenige Jahre nach der Übernahme schwächelte die deutsche Wirtschaft und mit ihr der Automarkt. Auf dem Hof hätte man die Gebrauchtwagen stapeln können und die Sache mit den Neuwagen lief auch nicht mehr rund. Die Leute fingen mehr und mehr an, nach Rabatten zu fragen.
Die Erlösung kam in Form der Wende. In kürzester Zeit drehte sich der Markt und Fred schwamm in Liquidität. Und wie das so ist, dauerte es nicht lange, und sein Hersteller forderte Neuinvestitionen. Da die Landschaften zu blühen drohten, legte Fred eine Schippe drauf und spendierte sich gleich einen neuen Standort.
Dann kehrte Ernüchterung ein. Ende der Neunziger trennte man die Vertriebsnetze seiner beiden Marken und Fred stand mental am Abgrund. Denn fortan sollte er seine so geliebte Premuimmarke nicht mehr handeln, sondern nur noch reparieren dürfen. Dabei verkaufte er doch gut 90 der Wagen pro Jahr an Kunden und hatte täglich ca. 3 davon in der Werkstatt.
Dass der Hersteller ihm vorrechnete, dass er künftig sogar mehr als weniger in er Tasche hätte – all das kratzte Fred wenig. Sein Ego war touchiert und für sachliche Argumente war da kein Platz. Aber gut, die Marke wird schon sehen, was sie davon hat. Kunden werden sie verlieren, ohne Ende, so Freds Voraussage.
Eine von Freds Hauptbeschäftigungen besteht seitdem darin, die mehr als 200 Seiten seiner Händler- und Serviceverträge regelmäßig mit den in gleicher Regelmäßigkeit eintreffenden Forderungen seiner Hersteller abzugleichen. So hofft Fred, Lücken oder zumindest weiche Formulierungen zu finden, die es ihm erlauben, diese Forderungen in seinem Sinne zu interpretieren.
Neulich zum Beispiel kam der OEM mit der „Idee“ auf ihn zu, sein DMS zu modernisieren. Was für ein Unfug, dachte Fred. Die haben keine Ahnung, wovon sie reden. Wollen nur teures Zeug verkaufen, obwohl sein seit gut 40 Jahren bewährtes DMS stabil und sicher läuft. Und werden da nicht immer wieder verrentete Programmierer zurückgeholt, die irgendwelche Updates fertigstellen müssen? Zukunftssicher ist es also, außerdem läuft es sicher und gut geschützt im eigenen Serverraum.
Erst rannten sie ihm die Bude ein und wollten ASP-basierte Software verkaufen, jetzt schwärmen sie von der Cloud. Von Datenschutz haben die wohl noch nie was gehört, oder? Tsss…
Und erst diese Telefonanlage. Hat ein Schweinegeld gekostet damals. Fred hat natürlich so einen riesigen Apparat auf dem Schreibtisch. Was er damit alles machen könnte?! Und jetzt labern sie von IP-basierten Systemen, so ganz ohne Geräte im Haus. Das kann gar nicht funktionieren. Was, wenn das Internet mal ausfällt?
Und bei all der Aufregung hätte Fred fast vergessen, die Zeitungsanzeige für die Wochenendausgabe noch beauftragen. Denn er freut sich jedesmal darüber am Sonntagmorgen, wenn er seine Angebote beim Frühstück betrachten kann. Suchmaschine, Facebook, Webseite? Ja schon, aber nur wenn’s unbedingt nötig ist.
Polemik?
Sicher, Ironie und ein wenig Polemik sind da eingeflossen. Aber seien wir ehrlich zu uns selbst: Wie sieht es aus in der Branche? In wie vielen Betrieben wird so gedacht? Und wie oft wird auch noch so gehandelt? W sieht nicht begreift man die Chancen wirklich als solche und
Von Ausnahmen abgesehen, ist die Branche in der Breite schlecht auf die Digitalisierung vorbereitet. Denn da geht es nicht nur um Systeme, sondern zuerst um das richtige Mindset. Und das muss ganz oben beginnen. Also, Ihr Autohaus Inhaber und Geschäftsführer, wie steht es um Euer Mindset in Sachen Digitalisierung? Bevor Ihr jetzt vorschnell sagt, Ihr seid da auf der Höhe der Zeit, empfehle ich Euch dringend, eine Stunde Eurer wertvollen Zeit in das Hören dieser Podcast-Episode zu investieren:
Master of Transformation: Interview mit Matthias Schultze von Maler Heyse aus Hannover
Ja, ein Malermeister. Warum das für Euch auch wichtig ist ist? Weil Matthias Schultze hier hervorragend darauf eingeht, was im Handwerk und Mittelstand vonnöten ist, um die digitale Disruption erfolgreich zu meistern. Und das betrifft Euch ganz genauso.
Es wird sehr gut deutlich, dass der Mensch die größte Hürde ist, um digitale Transformation voranzutreiben und hinzubekommen. Habt Ihr Fragen dazu? Ich freue mich auf Diskussionen mit Euch.
Foto: (c) SeanPrior/Clipdealer
Das deckt sich mit einer Vielzahl eigener Erfahrungen in und mit Autohäusern. „Können“ beginnt immer mit „Wollen“ und die Bereitschaft sich auf Neues einzulassen ist der Anfang guter Veränderung. Das gilt ebenso für andere Branchen, das Handwerk und die Dienstleistungsbereiche.
Und im übrigen: gute Standardisierte Prozesse berücksichtigen die Möglichkeit und Notwendigkeit für individuellen Raum. Dort liegt neben der Effizienz der Prozesse nach wie vor die Heimat des USP. Qualität ist auch im Zeitalter der Digitalisierung immer noch geprägt von Mensch – und das bleibt vorerst auch so …. zumindest solange Kunden nicht zu Robotern geworden sind.
Hallo Alfred,
da gebe ich Dir recht. Ich glaube sogar, dass viele Händler auch Veränderung wollen. Am Können scheitert es vielerorts weniger im Sinne von „can“ als von „may“. Dazu fehlt Grundlagenwissen und es herrscht nach wie vor die Wartestellung: Mein OEM wird sowieso was machen, warum also sollte ich jetzt noch zusätzliches Geld investieren. Gern wird dann vergessen, dass es nicht nur um geld, sondern auch um zu sammelnde Erfahrungen und den damit verbundenen zeitlichen Vorsprung geht.
Beste Grüße,
Derek
Lieber Derek, wieder mal eine glänzende Analyse von Dir! Sehr anschaulich und kenntnisreich geschrieben und prägnant auf die einzelnen Menschen im Betrieb zugeschnitten. Polemik muss an dieser Stelle sein, da musst Du Dir keinen Kopf machen. Wenn du nix dagegen hast, würde ich Deinen Leuchtturmtext in einem meienr nächsten Speedlogs thematisieren. Denn im Motorradhandel ist zumeist auch der Mensch der Hemmschuh für eine nachhaltige Digitalisierung. Viele Grüße
Hallo Stephan,
Lob aus digital berufenem Munde ist natürlich noch mal die Sahne auf dem Eis ;-).
Gern kannst Du das füeine Zwecke nutzen, sharing is caring, oder?
Ich bin überzeugt, dass es im Motorradhandel nicht anders aussieht, als im Autohandel.
Beste Grüße,
Derek
Hallo Derek,
Super Beitrag. Du hättest auch zu unserer Studie „Digitalisierung im Automobilhandel“ das Vorwort schreiben können. TÜV Nord, Autohaus und effisma. group haben stellen die Studie am 11.9. vor.
Hi Stefan,
das wäre doch mal ein Ding gewesen. Beim nächsten Mal schreibe ich gern was dazu. Die Vorabveröffentlichungen habe ich schon aufmerksam verfolgt. Bin gespannt auf die Einzelheiten.
Beste Grüße,
Derek