„Spätestens wenn diese Kunden einen Servicetermin brauchen, werden sie sich fragen, auf was sie sich da eingelassen haben.“ – so zitiert die Automobilwoche den Verkaufsleiter eines Münchener Ford-Händlers. Dieser reagierte damit u. a. auf die negativen Erfahrungen seines Betriebes mit sogenannten Schnäppchenkunden. Der Kollege zeigt damit eine für mich etwas eigenartig daherkommende Einstellung, auf die man in der Diskussion über Neuwagenvermittler auch immer wieder trifft. Frei nach dem Motto: Im Service werden wir’s denen dann zeigen.
Diese Art von Denkweise offenbart, dass einige Marktteilnehmer auf Autohaus-Seite noch nicht so ganz verstanden haben, wie Marktwirtschaft (nicht nur in heutigen Zeiten) funktioniert. Ganz im Gegenteil scheinen Menschen dieser Denkart davon auszugehen, dass wir noch immer in einem Verkäufermarkt leben, in dem der Händler nach Gutsherrenart darüber entscheiden kann, wie er mit seinen Kunden umgeht. Oder habe ich einen regionalen Markt in Deutschland übersehen, in dem dieses Prinzip doch noch existent ist?
Doch weitere Punkte stören mich: Zahlen Kunden im Service nicht etwa Geld dafür, dass Sie Leistungen erhalten? Und zahlen Kunden in Fabrikatsbetrieben nicht sogar einen gehörigen Aufschlag dafür? Gibt es keine gesetzliche Pflicht zur Sachmangelhaftung? Wird nicht gerade im Service das Geld des Autohauses verdient?
Natürlich kann ich verstehen, wenn sich Händler Sorgen über die gegebene Situation machen und Angst vor der Zukunft haben. Der Markt hat sich verändert und das liegt nur zum Teil am Einfluss der neuen Medien. Vielmehr wird dem Automobil an sich heute nicht mehr jene Bedeutung beigemessen, wie noch vor einigen Jahren. Es ist eben weitgehend normal, sich mit einem Auto von A nach B zu bewegen. Selbst Luxusfahrzeuge haben in vielen Bereichen ihren besonderen Nimbus verloren. Schauen Sie sich an, mit welcher Perfektion und Ausstattungsvielfalt aktuelle Kompaktfahrzeuge gebaut werden?! Auch gilt es gerade in Europa nicht mehr als sonderlich schick, seinen Wohlstand nach außen zu kehren. Dazu kommen die schon genannten neuen Medien, die unheimliche Dynamik des Marktes und die seit jeher eher langsame Anpassungsgeschwindigkeit von Herstellern und Händlern.
Gerade Letztgenanntes ist nicht unbedingt als Vorwurf zu verstehen, die Branche tickt eben so, wie sie es tut. Und über Jahrzehnte waren größere Revolutionen im Vertrieb auch nicht nötig, es ging halt auch so. Statt dessen wurden Details evolutioniert. Neben Autos wurden auch Finanzierungen und Versicherungen angeboten, Zubehör und Wartungsverträge kamen dazu. Bis zum Vormarsch des Internets war das auch OK so. Aber seitdem ändern sich die Dinge gewaltig. Und darauf hat noch niemand eine wirkliche Antwort gefunden. Bau, Steine, Erden – noch immer fließt der Großteil der Investitionen eines Händlers in diese Bereiche. Als ob das noch planbar wäre und Kunden wirklich interessiert?! Die Branche versucht mit aller Macht, ihr altes Image zu bewahren und durch solche Art von Investments buchstäblich zu zementieren.
Es nützt wenig, auf die Kunden zu schimpfen, die nichts weiter tun, als auch die meisten, wenn nicht alle Marktteilnehmer auf Seiten der Autohäuser: Geld sparen! Die Kunden können nichts dafür, wenn die Anbieterseite sich noch nicht auf die Veränderungen eingestellt hat. Machen wir sie dafür also nicht verantwortlich!
Hallo Herr Finke, Vielen Dank für die Verteidigung des für Händler unverständlichen Kundenhabitus.
Was viele Händler nicht verstehen können- es ist an der Zeit darüber nach zu denken, ob die biografischen Erfahrungen der Kunden nicht wertvoller sind als die Marketing Welt der Hersteller.
Bei beiden handelt es sich um Konstruktionen oder Narrative.
An dem einen Narrativ hat ein Händler großes Interesse, den es wird ihm von einem starken Partner aufgedrückt. Das andere tritt dagegen in den Hintergrund, obwohl es paradoxerweise täglich sich erneuernd vor den Augen aller Beschäftigten sich abspielt und das ist die Kundenreaktion und das Kundenverhalten im Showroom und beim Service im Dialog Center.
Was für mich immer wieder erstaunlich ist, wenn ich z.B. mit einem mittelständischen Autohändler spreche ist, dass er überhaupt nicht weiss, wie seine Kunden über das Angebot denken, welche Biografie sie zum Auto zur Marke haben, sondern sich darauf verlassen, was ihm der Hersteller als Marketing Strategie vermittelt.
Interessant ist auch die Flexibilität, die in den Geschäftsmodellen z.B. beim Leasing oder sogenannten Flatrate Angeboten zu spüren ist. Hier zeigt sich das juristische Verhältnis von Kunden und Hersteller in seiner ganzen Archaik.
Es ist nicht möglich, die riskanten Lebensverhältnisse, die Dynamik der modernen Biografie in einem Kaufvertrag so fest zu schreiben, dass eine Änderung nicht zu Ungunsten des Käufers verläuft. Man mag das Kundenbindung nennen, in seinen Auswirkungen auf das Verhalten der Kunden ist es völlig antiquiert und hier ist der Hersteller gefordert, endlich anzuerkennen, was sie in ihrem Beitrag sehr richtig schreiben, der Ansehensverlust des Autos gegenüber anderen Objekten und Artefakten in der modernen Welt. In Ballungszentren hat das Auto bei der Zielgruppe den Wert einer Handtasche und bei der anderen ist das Auto ein Produktionsmittel, dass sich der Welt anpassen muss, doch davor haben die Hersteller und ihre Banken die Unflexibilität ihrer Verträge gestellt. Das upsizing mag noch gehen, aber wehe, sie haben durch einen biografischen Einschnitt ins Leben nun eine neue Lebenssituation, die sie in ihrer Mobilität abbilden müssen. Dann geht plötzlich gar nichts mehr, weder eine Verlängerung der Laufzeiten eines Kredites, noch eine Dynamisierung oder gar ein Einfrieren oder Reduzierung der Monatsraten ist vorgesehen und möglich. Der Kunde wird diese Erfahrung weiter tragen und und daher sind Verhaltensweisen wie Car Sharing oder das Auto teilen in ihrer Verbreitung im Moment so interessant, denn sie versprechen größtmögliche Individualität mit der größt möglichen finanziellen Freiheit. Wenn Zu Zeiten von Ford die Menschen schnellere Pferde verlangt und das Auto bekommen haben, was wäre dann jetzt vor allem in den Ballungszentren eine Innovation der Geschäftsmodelle und Leistungen eines Herstellers, die die Kunden begeistert? Vielleicht eine Autojahreskarte? Ich weiss es nicht, aber ich glaube dass die Hersteller und Händler einen Schumpeterschen Moment vor sich haben, eine kreative Zerstöruung, wenn sie sich am Markt halten wollen.
Hallo Herr Fuhr,
vielen Dank für Ihren Kommentar.
Ich sehe das ganz ähnlich wie Sie. Es ist zweifelsohne legitim, seine Marke aufzuladen und diese samt Produkten bestmöglich zu bewerben. Es ist dazu sicher auch wünschenswert, wenn der Hersteller auch daran glaubt und danach handelt, was er sagt. Wenn aber der Markt eine Wandlung vollzieht und man nur um des Wahrens des guten Scheins und des möglichst langen Erhalts des Status Quo willen weiter macht wie immer, wird es irgendwann brenzlig.
Ich weiß nicht, ob es hier auch schon soweit ist. Für die Hersteller ist das Ganze sicher eine riesige Herausforderung, da es in China eben ganz anders aussieht, als hier in Europa oder drüben in den USA. Hier müßte man Dinge wie das Car Sharing viel mehr forcieren, in China viel mehr Luxusware anbieten und in den USA noch mehr SUV’s. Das alles unter einen Hut zu bekommen, gleicht einem Spagat.
Viele Grüße,
Derek Finke