Cadillac und der Traum von Europa – geht es nach GM, soll das keine Vision bleiben. Cadillac – das steht für „The American Dream“ in Luxus und Überfluss, für blubbernde V8-Motoren, deren Tankstrudelgeräusche jene des Fahrtwinds noch übertönen, für Straßenkreuzer mit Haubenlängen, die Dächern deutscher Carports allemal das Wasser reichen können. Dem aufmerksamen Leser, zumindest wenn dieser auch Autofreund ist, wird nicht entgangen sein, dass all die oben genannten Attribute scheinbar nicht mehr in unsere heutige Welt passen, zumal in unsere europäische, speziell aber in die deutsche. Geht es bei uns nicht vielmehr darum, nicht aufzufallen, Luxusfahrzeuge mit Vierzylindern und möglichst Dieselantrieb auszustatten und Fahrzeuge zu kaufen, die in Parkhäuser nach Baustandard aus den 60ern passen? Manche nennen das die Neudefinition von Luxus. Na ja, ich bin dann wohl etwas altmodisch.

Cadillac und der Traum von Europa – Neue Modelle kommen

Insofern darf man getrost davon ausgehen, dass auch Cadillac jetzt Fahrzeuge auf den europäischen Markt bringt, die sich diesen Anforderungen mindestens größtenteils unterwerfen. Cadillac, eine tolle Marke, die in Europa auch mal einen tollen Klang hatte. Doch das war in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts, als Eduard Winter in Berlin noch Europas größter GM-Vertreter gewesen ist. Inzwischen gibt es keinen Eduard Winter mehr, weder in Berlin noch anderswo.

Cadillac kündigt nun also vollmundig an, es wieder ernst zu meinen und Europa zu erobern. Ich würde mir ehrlich wünschen, dass sie es tatsächlich so machen. Denn Wettbewerb belebt das Geschäft und eine solche Marke, die aus dem Rahmen fällt, könnte dieser Markt wirklich vertragen. All die immer-selben Ringe, Propeller, Sterne, Raubkatzen und natürlich der Stahl, aus dem die schwedischen Gardinen sind, sind unbestritten weltbeste Autos. Aber mal wieder eine scharfe Kante, eine Ausnahme von der Regel, ein Gesicht in der Menge zu sehen, das wäre mein Autoherzenswunsch.

Hauptsache, GM lässt der Marke Luft zum Leben

Doch ich befürchte, das käme schon einem kleinen Wunder gleich. Schaut man sich GM so an, muss die Frage erlaubt sein, ob dort wirklich jemand etwas von den Eigenheiten des europäischen und speziell von denen des deutschen Premiummarktes versteht. Die deutschen Premiumhersteller verstehen ihr Handwerk, auch beim Verkaufen ihrer Autos. Wenn hier gut 75% des Premiummarktes in gewerblicher Hand sind und der Leasinganteil extrem hoch liegt, dann kann sich jeder halbwegs ausmalen, wieviel Autos Cadillac hier absetzen kann. Karriere in deutschen Konzernen machen meistens nicht die Querköpfe, sondern die anderen. Und die fahren deutsche Streamlined-Autos. Leasingverträge gehen durch die Einkaufsabteilungen, bei den zu erwartenden Restwerten der Cadillacs ein nahezu aussichtsloses Unterfangen – ausgenommen, GM investiert hier langfristig Geld. Wenn nach Angaben des CEO’s von Cadillac Europa, Tom Anliker, mit 32 Händlern in Deutschland geplant wird (z. Z. sind es sechs!), dann weiß man in etwa um die eigenen Erwartungen.

Cadillac und der Traum von Europa – Die Führungskräfte stapeln tief

Wer mit Amerikanern abseits des Touristischen auch im Geschäftsleben zu tun hat, dem müssen bei Anlikers Zielformulierung für 2013 „Wir wollen mehr verkaufen als letztes Jahr“ die Ohren schlackern, wenn nicht sogar die Alarmglocken klingen. Hört sich das nach einem unmissverständlichen Bekenntnis zur Marke und zu Investitionen an? Zwar spricht Herr Anliker von neuen Modellen, aber das allein reicht bei weitem nicht. Was hier benötigt wird, ist extrem viel Geld für Händlernetz- und Marktentwicklung, Marktbearbeitung, Restwertstützung und Marketing von Anfang bis Ende. Da sind im europäischen Kontext sicher hohe zweistellige Millionenbeträge erforderlich. Sollte man das von GM warten können, vor allem nach dem Herumgeeier mit Opel?

Wer den langen, harten und teuren Weg von Audi verfolgt hat, um von der StiNo-Marke zum Premiumanbieter zu werden, der darf angesichts der Großbaustelle General Motors und ihrer Premiummarke Cadillac keine falschen Erwartungen hegen. Audi rennt in den USA noch immer der Meute hinterher, wogegen Lexus dem Feld weit vorausläuft. Und wo steht Lexus in Europa? Unter ferner liefen, dabei bauen die noch nicht einmal exotische Autos, sondern hochgelobte Fahrzeuge, die optisch weitgehend etwas für jedermann sind.

Jeder Autohändler, der mit Cadillac liebäugelt, sollte sich all dieser Unwägbarkeiten bewusst sein. Wer das Risiko für überschaubar hält und mit Herzblut und Leidenschaft für die Marke und deren Produkte ans Werk geht, der wird ohne Zweifel seine Kunden in der Nische finden. Aber niemand sollte sich der Illusion hingeben, in wirklichen Wettbewerb zu den Platzhirschen treten zu können. Dessen sollten sich vor allem der Importeur und GM bewusst sein.

Derek Finke

Photo credit: fPat Murray via flickr