Vor kurzem ereilte mich ein Erlebnis namens „Retargeting“, das auf den ersten Blick branchenfremd erscheint, aber eben doch mit der Autobranche zu tun hat. Ich habe mich auf der Webseite eines deutschen Oberhemdenproduzenten über verschiedene Hemden und Größen informiert, ohne jedoch einen Kauf zu tätigen. Soweit, so gut. Doch seitdem „verfolgt“ mich auf diversen Webseiten die Werbung exakt dieses Konfektionärs. Und es ist nicht irgendeine Werbung, sondern exakt jene drei Hemden werden beworben, die ich mir damals auf der Webseite des Konfektionärs angesehen habe.

Retargeting im Autohaus muss nur noch genutzt werden

Nun überrascht mich dabei weniger dieser Umstand an sich. Viel spannender finde ich, mit welch ausgefeilten Methoden Online-Werbung heute bereits funktioniert. Nicht mehr das Prinzip Gießkanne gilt hier, sondern es wird mit verschiedenen Recherche- und Analysemethoden erreicht, so nah wie nur irgend möglich an die vermuteten oder sogar bekannten Interessenlagen des Interessenten bzw. Kunden heranzukommen. Im Werbe-Sprech nennt sich das Ganze das Retargeting. Man wirbt also gezielt und individualisiert, statt mit einem Thema für alle. Dieses Vorgehen reduziert die Quote der Streuverluste dramatisch. Infolge der höheren Relevanz der eingeblendeten Werbung steigt die Akzeptanz beim Interessenten, was wiederum zu einer höheren Nutzung dieser Werbeangebote führt. Branchenbeobachtungen zeigen darüber hinaus, dass die derart angesprochenen Interessenten auch in größerer Zahl in Kunden konvertiert werden können.

Ich gebe gern zu, dass eine derart individualisierte Kampagne schon in die Königsklasse modernen Online-Marketings hineinreicht, zumindest bei Unternehmen im Mittelstand. Große, global agierende Konzerne mit sieben- oder mehrstelligen Werbebudgets und professionellen Marketingabteilungen sind ja schon länger in diesem Metier unterwegs.

Und was hat das nun mit dem Autohandel zu tun?

Leider noch nicht viel, zumindest in Deutschland. Denn nicht wenige Händler hier vertrauen noch immer mehr den traditionellen Medien und hegen dem Internet und seinen Angeboten gegenüber wenn nicht Abneigung, dann doch zumindest Skepsis. Das ist menschlich verständlich, denn schwer durchschaubare oder eben auch unbekannte, neue Dinge rufen zumeist einen Abwehrreflex hervor. Doch ich spreche hier Unternehmer und Kaufleute an, die das Internet nicht lieben, aber doch zumindest den Umstand akzeptieren müssen, dass sie dort, wo ihre Kunden sind, auch präsent sein müssen.

Probieren geht noch immer über studieren! Online-Werbung dieser Art ist ein probates Mittel, um in einer vom Händler individuell bestimmten Region (z. B. 30 oder 50 km um den eigenen Kirchturm herum) sowie in vom Händler festgelegten Plätzen (also da, wo die eigenen Kunden bzw. Interessenten im Internet vermutet werden), mit Anzeigen individuell auf den jeweiligen Nutzer zu zugehen. In anderen Ländern wird diese moderne und preiswerte Werbeform von Autohändlern um ein Vielfaches intensiver genutzt.

[bctt tweet=“Ein #Autohaus muss da werben, wo die Kunden unterwegs sind. #AutoMarketing #Retargeting“]

Wenn jemand beispielsweise auf einer Händlerwebseite unterwegs ist und dort die Fahrzeugdetailseite eines oder mehrerer Fahrzeuge aufruft, kann diese Information gespeichert werden. Der Händler weiß dann also, dass ein eindeutig identifizierbarer Webseitenbesucher Interesse an einem bestimmten Fahrzeug oder an einer bestimmten Fahrzeuggruppe hat. Aus diesen Informationen können dann Text- und/oder grafische Anzeigen gestaltet werden, die auf anderen, vorher ausgewählten Webseiten wieder eingeblendet werden. Klickt nun der angesprochene Benutzer auf eine solche Anzeige, kann man diesen auf eine Landingpage weiterleiten, die spezielle Elemente enthält und zu einer Handlung auffordert. Das könnte z. B. sein, seinen Namen, seine E-Mail-Adresse und seine Telefonnummer zu hinterlassen, um weitere Informationen zum Angebot zu erhalten. Diese Informationen müssen allerdings einen wirklichen Mehrwert für den Benutzer enthalten, um das Interesse des Benutzers zu steigern.

Damit wurde ein anonymer Benutzer zum Lead qualifiziert. Einige Tage später geht dann ein Verkäufer auf diesen Menschen zu, dessen Interessenlage er nun bereits kennt. Er kann versuchen, einen Termin im Autohaus zu vereinbaren, z. B. um eine Probefahrt zu ermöglichen und zusätzliche Finanzdienstleistungen anzubieten. Diese Vorgehensweise nennt sich im Werbe-Fachchinesisch „Inbound-Marketing“ und kann auf verschiedene Arten und Weisen variiert werden.

Kritik an der Methode?

Aber ja, die gibt es natürlich. So etwas gehört zwangsläufig zu guten Ideen, die Altes verdrängen. Gerade in Deutschland, wo Datenschutz als ein hohes Gut angesehen wird. Aber auch hier gibt es Lösungen: Benutzer haben die Möglichkeit, sich durch Klicken auf ein kleines X in der Anzeige aus dem System der werblichen Nachverfolgung auszuklinken. Sie sehen, es ist gar nicht so schlimm. Benutzer bleiben also die Bestimmer über sich selbst.

Autohändler sollten also die sich bietenden Chancen des Online-Marketings ergreifen und auf sich selbst und ihre Produkte und Dienstleistungen aufmerksam machen.

Derek Finke