Ein wenig kommen mir heutige Vertragshändler so vor vor, wie die Bulette im Hamburger: Von einer Seite drücken die Kunden, von der anderen die Hersteller. Autohäuser sind komplexe Gebilde und niemand sollte unterschätzen, mit welchem Aufwand die verschiedenen Geschäftsarten zu betreiben sind.

Der Autohandel mit Neuwagen

Da ist zum einen das Handelsgeschäft. Um überhaupt Vertragshändler einer Marke zu werden, sind zahlreiche Standards, sprich Vorgaben seitens der Hersteller, zu erfüllen. Da gibt es nur sehr wenig, was völlig frei vom Unternehmer zu entscheiden wäre. Bei einigen Marken geht das sogar soweit, dass ein Wechsel in der Geschäftsführung eines Betriebes vom Hersteller abgesegnet werden muss. Als Ergebnis darf dieser Unternehmer dann exklusiv Neuwagen einer bestimmten Marke handeln.
Neben den Vorgaben der Hersteller sei erwähnt, dass es für den Vertragshändler auch noch gesetzliche Vorgaben gibt. Hintergrund dafür ist, dass Hersteller ihre Neuwagen eben nur exklusiv an diese Vertragshändler liefern, also nicht jeden direkt beliefern müssen. Es findet also eine Selektion statt, was im Grunde nicht dem europäischen Kartellrecht entspricht. Aus diversen und durchaus nachvollziehbaren Gründen hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, für diese Vorgehensweise eine Ausnahmeregelung zu erlassen, die sogenannte Gruppenfreistellungsverordnung (GVO). Wer sich das Vertragswerk inklusive diverser Richtlinien eines Autohändlers mal zu Gemüte führt, kann nicht nur wegen dessen Inhaltes, sondern allein wegen dessen Umfang ins Grübeln kommen. Und wir sind noch beim Thema Neuwagenhandel!

Das Geschäft mit Gebrauchtwagen

Ein weiterer Punkt ist das Gebrauchtwagengeschäft. Eigentlich ist das der einzige Bereich, wo Vertragshändler wie freie Unternehmer agieren können. Doch die Benutzung von „eigentlich“ hat seine Bewandnis: Bei immer mehr Herstellern und Importeuren wird auch das Gebrauchtwagengeschäft vertraglich geregelt, insbesondere bei den heimischen Marken. Die Gründe dafür sind einfach: Zum einen sitzen die deutschen Hersteller Jahr für Jahr auf riesigen Beständen von Dienst- und Mitarbeiterfahrzeugen sowie Rückläufern aus dem Leasing-, Großkunden- und Autovermietergeschäft. Während es noch vor einigen Jahren in der Regel überhaupt kein Problem war, diese Autos schnell zu vermarkten, hat sich auch dieser Markt inzwischen deutlich volatiler, also sprunghafter, entwickelt. Um am Ende nicht auf den großen Mengen sitzen zu bleiben, wird also aktives Re-Marketing seitens der Hersteller betrieben.

Da das Kfz-Gewerbe zum zweiten versäumt hat, eine herstellerübergreifende eigene Gebrauchtwagenmarke zu schaffen, boten sich zusätzliche Gestaltungsmöglichkeiten für die Hersteller an. So hat man kurzerhand eigene Gebrauctwagenmarken geschaffen, die es zu leben gilt. Und dieses „leben“ bedeutet letzten Endes, dass vom Händler vor Ort Markenwelten zu schaffen sind, die wiederum Vorgaben und Standards nach sich ziehen. Und nur jene Händler, die diese Vorgaben erfüllen, werden dann mit den jungen und größtenteils ja auch begehrten Gebrauchtwagen der Hersteller zu attraktiven Konditionen beliefert. Jene Händler, die diese Gebrauchtwagenstandards nicht erfüllen, erhalten diese Fahrzeuge entweder nicht oder zu deutlich weniger attraktiven Preisen und in weniger attraktiver Auswahl. Für die Hersteller ist das eine tolle Sache: Zum einen haben sie Planungssicherheit, zum anderen können sie ohne eigenes nennenswertes Invest ihre Markenphilosophie in die Welt tragen lassen.

So viel zum Autohandelsgeschäft, es ist deutlich komplexer, als es auf den ersten Blick aussieht (und ich habe ganz sicher noch nicht alle Aspekte beschrieben).

Autoreparatur oder Autoservice

Im Bereich der Werkstatt geht es nicht weniger komplex zu. Um als Vertragswerkstatt tätig zu sein, sind nicht weniger Standards und Vorgaben der Hersteller einzuhalten.
Ein weiterer Punkt ist der Handel mit Originalersatzteilen. Ein Geschäft, das ebenfalls europäisch reguliert ist und jedem Vertragshändler/-werkstatt weitere Auflagen der Hersteller bringt.
Und auch im Service spielt die europäische Gesetzgebung mit der GVO eine wesentliche Rolle, denn auch die Vertragswerkstätten werden seitens der Hersteller selektiert. Dazu kommen dann noch diverse Umwelt- und Bauvorschriften oder Belange der Arbeitssicherheit sowie die deutschen Vorgaben aus der Handwerksordnung (Meisterzwang).

Finanzdienstleistungen im Autohaus

Und bevor es unter den Tisch fällt: Wer heutzutage Autos verkauft, bietet auch immer diverse Finanz- und Versicherungsdienstleistungen an. Man muss dazu im Versicherungsvermittlerregister eingetragen sein und ellenlange Verträge mit den Kunden durcharbeiten – natürlich nur zu deren Schutz 😉 Und die mit den herstellereigenen Banken abzurechnenden Provisionen und Boni sind oftmals so kompliziert strukturiert, dass es schon schwer fallen kann, als Händler den Überblick zu behalten.

Zu all dem „Wahnsinn“ kommt natürlich noch das hinzu, was alle Unternehmen in Deutschland auszuhalten haben. Und falls Sie sich jetzt fragen, warum ich das hier alles aufgelistet habe: Nun, bei allem Gemecker, dass gemeinhin über Autohändler herrscht, sollte eben auch diese Seite nicht vergessen werden. Ich nehme mich vom Gemecker übrigens keinesfalls aus. Aber ab und zu hilft es, sich selbst wieder auf die Realität einzunorden.

Ich bin der Auffassung, dass in vielen Autohäusern inzwischen ein Punkt erreicht (und manchmal auch schon überschritten) ist, der die Überforderung mit all den administrativen Tätigkeiten, Auflagen, Vorgaben und Standards zutage treten lässt. Das Ergebnis sind dann nicht etwa zufriedene Kunden, sondern zwangsläufig mit sich selbst beschäftigte Mitarbeiter. Es bleibt immer weniger Zeit, nicht nur die Autos, sondern vor allem die Kunden zu betreuen. Ich glaube, dass es so nicht mehr lange erfolgreich weitergehen kann. Hier muss ein Umdenken – nicht nur bei den Herstellern – stattfinden. Bei aller Begeisterung für das Produkt Auto muss endlich der Mensch im Mittelpunkt stehen. Und damit meine ich zuerst die Mitarbeiter in den Autohäusern und dann die Kunden.

Menschen machen Geschäfte mit Menschen – das ist so und wird so bleiben. Ob sie es vor Ort oder im Internet machen, sei mal dahingestellt.

Im zweiten Teil der Artikelreihe geht es um den Druck seitens des Marktes, sprich der Kunden.

Derek Finke

Photo credit: Jan Persiel at Flickr