medium_224223183Es ist fast genau ein Jahr her, als ich an dieser Stelle mit der Frage nach einer möglichen Neuordnung der europäischen Automobilindustrie eröffnete. Mehrere Ereignisse ließen mich vermuten, dass es so, wie es war, nicht bleiben würde: die nicht enden wollende Opel-Krise, die Beteiligung von GM an der PSA-Gruppe, das Verschwinden von Saab, drohende Werksschließungen, die Schwierigkeiten der Fiat-Gruppe, aber auch der erhebliche Rückgang von Marktanteilen verschiedener japanischer Importeure. Nun, alles ist heute noch irgendwie so, wie damals.

Habe ich also total falsch gelegen?
Na ja, der eine sagt so, der andere so. Einerseits sieht es so aus, als würde sich der aktuelle Zustand zementieren und die Betroffenen retteten sich über die Zeit. Danach wird dann alles schon wieder (ist die Hoffnung). Doch bei etwas genauerer Betrachtung verschiebt sich einiges im Markt: Opel scheint es mit neuem Vorstand wieder etwas optimistischer anzugehen, sogar GM schwört Treue und Geduld bis 2016. Was davon zu halten ist, wird nur die Zukunft zeigen können.
Die PSA-Eigentümerfamilien sind inzwischen offenbar bereit, sich von PSA zu trennen bzw. zurückzuziehen und anderen Investoren deutlich mehr Einfluss, angeblich sogar bis hin zur Übernahme, zu gewähren. GM fällt einem da natürlich sofort ein, denn die sind ja schon Aktionär. In der Fachpresse wird sogar spekuliert, dass GM die PSA-Gruppe übernimmt, mit Opel verschmilzt und den Deutschen die operative Führung dieses Konglomerats zuteilt. Kann das jemand glauben – ein französisches Traditionsunternehmen unter vollständiger amerikanischer Kontrolle und unter deutscher Führung?! Oder anders gesagt: Staatssozialisten, unterwandert von knallharten Marktwirtschaftlern und geführt von rheinischen Kapitalisten. Das macht auf jeden Fall dann Sinn, wenn GM plant, gleich drei Marken auf einmal platt zu machen.
Saab wurde nach China verkauft, aber kommt da noch was? Zu hören oder lesen ist jedenfalls nichts mehr.
Fiat hat nach wie vor Sorgen und wird sich überlegen müssen, was mit kaum noch wahrnehmbaren Marken, wie Lancia und Alfa, passieren soll.
Und viele Japaner, die hier früher richtig geräubert haben, stehen mit dem Rücken zur Wand, zumindest aber nicht mehr da, wo sie schon einmal waren. Selbst Toyota muss sich fragen, wie sie in Europa künftig agieren wollen. Die derzeitige Grummelei zwischen Händlerverband und Importeur in Deutschland fördert die verschiedenen Erwartungshaltungen zutage.

Und die Kapazitätsüberschüsse?
Werksschließungen sind beschlossene Sache bei mehreren Marken in mehreren Ländern. Die Kapazitäten werden also angepasst, aber ist das, was bereits beschlossen wurde, auch ausreichend? Was sollte berücksichtigt werden:

  • Das Siechtum des europäischen Automarktes hat in diesem Jahr schon dramatische Züge angenommen, die Marktsättigung ist wohl erreicht, je südlicher, desto schlimmer,
  • Die Mobilitätsbedürfnisse verändern sich, Teilen ersetzt für immer mehr junge Leute das Besitzen,
  • Für die Automobilhersteller nimmt die Bedeutung des europäischen Marktes stark ab, die Produktion folgt den neuen Gegebenheiten und wird Europa verlassen (zumindest im Volumensegment),
  • Protektionismus in Schwellenländern tut das Übrige, um Hersteller zu einer vor-Ort-Produktion zu bewegen,
  • Neue Marken werden nach und nach versuchen, in Europa Fuß zu fassen und somit den Wettbewerb, vor allem im Segment der preiswerten Fahrzeuge, weiter anheizen,
  • Politische Einflussnahme verteuert automobile Mobilität immer weiter,
  • Das Internet und seine Möglichkeiten entwickeln sich mit hoher Dynamik weiter, was sowohl Herstellern, vielmehr aber noch Händlern zu schaffen macht.

Es mag noch einige weitere Gründe geben, aber das da oben reicht eigentlich schon. Ich glaube daran, dass es eine Zukunft für die Branche gibt. Um Zukunft aber zu gestalten, wird es schmerzhafte Anpassungen in Industrie und Handel geben müssen. Neue Marken kommen, andere werden verschwinden. Im Handel wird es eine weitere Welle der Konsolidierung geben, ich bin aber davon überzeugt, dass auch kleinere Betriebe künftig ihre Chancen haben werden. Allerdings werden sie untereinander deutlich mehr kooperieren müssen, um ihre Wettbewerbsnachteile ausgleichen zu können. Und ob der Status des Vertragshändlers künftig noch relevant sein wird, wer weiß das schon?!

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