Über Jahrzehnte hinweg haben deutsche Vertragshändler den Großteil ihres Gebrauchtwageneinkaufs nahezu ausschließlich aus Inzahlungnahmen heraus generiert. Über die Zeit hat der Anteil an geleasten und finanzierten Neufahrzeugen stetig zugenommen. Die meisten Fabrikatshändler arbeiten in diesem Bereich mit ihren jeweiligen Hersteller- bzw. Importeursbanken, den sogenannten Captives, zusammen, mit denen in der Regel Rückkaufvereinbarungen bestehen. Das führte im Bereich der Gebrauchtwagenbeschaffung zu einem mehr und mehr planbaren Zukauf.

Neue Spielregeln beim Fahrzeugeinkauf

Doch auch hier gilt der Spruch: „Dann kam das Internet und änderte die Spielregeln.“ Die großen Gebrauchtwagenportale dienen aus Sicht des Handels auch als Zukaufsquelle, Auktionshäuser inklusive elektronischer Auktionen blühten auf, große Flottenbetreiber begannen, ihre Bestände direkt über das Netz zu vermarkten, selbst Hersteller, Importeure und die Captives sowie freie Autobanken nutzen diesen B2B-Kanal.

Darüber hinaus haben sich durch die Globalisierung, u. a. auch vorangetrieben durch die Transparenz des Internets, die Auf- und Ab-Zyklen in der Wirtschaft verändert. Früher waren das wellenartige Bewegungen, also langsam ansteigende Kurven mit weichem Scheitelpunkt und ebenso langsam abfallender Kurve. Heute erleben wir aber vielmehr spitze Ausschläge, also steil ansteigende Aufschwünge, eine „spitze Spitze“ (Sprache kann so schön sein) 😉 sowie rapide Abschwünge. Während erste eher Sinus-Kurven ähneln, kommen einem letztgenannte wie EKG-Diagramme vor. Das heisst aber auch: Was früher halbwegs vorhersehbar und weitestgehend stabil war, ist heute größtenteils unberechenbar.

Dieses Phänomen lässt sich in den letzten Jahren vermehrt auch in den Etagen der Großindustrie mit ihren riesigen Stabsabteilungen beobachten. Wenn dort ein Manager nach seinen Erwartungen für das kommende Jahr gefragt wird, kommt entweder ein entschiedenes „sowohl als auch“ oder der Spruch „wir fahren auf Sicht“. Gleiches gilt für die alljährlichen Konjunkturprognosen der Wirtschaftsinstitute: Da wird ständig und in immer kürzeren Abständen nachkorrigiert, meistens nach unten.

Autohäuser orientieren sich weiterhin an politischen Restwertvorgaben

Fabrikatshändler aber scheinen von dieser Entwicklung ausgenommen zu sein. Anders lässt sich das Festhalten am Leasinggeschäftsmodell mit Rücknahmeverpflichtung nicht interpretieren. Da werden nach wie vor politische Restwerte hingenommen, deren zumeist unrealistische Größenordnung allen Beteiligten klar ist. Doch sind die Restwerte nur ein Problem, wenn auch ein immer wieder dramatisches. Denn auch „nicht-politische“ Restwerte lassen sich kaum noch realistisch voraussagen. Und wenn doch, steht die Frage im Raum, ob Autohändler mit ihrem hohen Anteil an Fremdkapital und ihrer chronisch dünnen Ertragslage die richtigen Ansprechpartner sind, wenn es um Restwertgarantien geht?!
Das zweite Problem ist vielmehr die sich nach oben beschriebenem Schema verändernde Nachfragesituation: War das Modell Kombi XY mit Dieselmotor in den letzten Jahren noch immer auch als gebrauchter Leasingrückläufer gefragt, wollen Kunden jetzt aber vermehrt den kleineren Kombi YZ mit Ottomotor. Doch diese Autos gibt es nicht in ausreichender Zahl, da der Großteil der Leasingrückläuder aus gewerblichem Bestand stammt und dort nunmal Diesel das Maß der Dinge sind. Auch hat die Zahl der Absatzkanäle im europäischen Ausland abgenommen: Im Süden tobt die Krise, im Osten gelten Einfuhrzölle usw.

Dann einkaufen, wenn Ware benötigt wird

Macht es nicht viel mehr Sinn, den Bedarf an Ware, sprich an Gebrauchtwagen, in der heutigen, sehr kurzlebigen Zeit erst dann zu bestimmen und zu decken, wenn der Zeitpunkt der Vermarktung gekommen ist? Ich zumindest würde mir nicht zutrauen, vorauszusagen, wie der Markt in drei oder vier Jahren tickt. Selbst Voraussagen für sechs Monate sind doch kaum haltbar. Warum also spielen die meisten Vertragshändler dieses riskante Spiel noch immer mit? Weil es halt schon immer so war? Weil es ja auch viele Jahre lang gut funktioniert hat? Weil es eben nicht anders geht? Weil der Hersteller noch nichts anderes erfunden hat?

Diese Fragen mögen mit ja beantwortet werden, aber der Einfluss des Internets darf eben nicht unterschätzt werden. Das Netz entfaltet mit jedem neuen Technologieschub neue Wirkungen. Und diese Wirkungen stellen zunehmend traditionelle Geschäftsmodelle infrage, siehe auch die hitzigen Debatten über Neuwagen– und Serviceportale. Niemand wird in der Lage sein, diese Entwicklung aufzuhalten. Statt dessen muss sie gestaltet werden. Und wenn es nicht der Autohandel selbst ist, der gestaltet, dann werden sich neue Marktteilnehmer finden.

Derek Finke

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